Die DDR war jahrzehntelang ein zentraler Schauplatz des atomaren Wettrüstens – doch alles spielte sich im Verborgenen ab. Seit den 1990er Jahren sind zahlreiche Fakten über die Präsenz sowjetischer Atomwaffen in Ostdeutschland bekannt. Heute gewinnt dieses fast vergessene Kapitel wieder an Brisanz: Die Neuausrichtung der US-Militärdoktrin wirft die Frage nach dem nuklearen Schutz Europas neu auf.
Ende der 1950er Jahre brachte nicht der Westen, sondern die Sowjetunion erstmals Atomwaffen auf deutschen Boden. Kreml-Chef Nikita Chruschtschow ordnete 1958 die Stationierung der weltweit ersten atomaren Mittelstreckenrakete in der DDR an.
Schon 1959 wurden in Vogelsang, nördlich von Berlin, R-5M-Raketen (NATO: SS-3) einsatzbereit gemacht. Sie hatten rund 1.200 Kilometer Reichweite und konnten Atomsprengköpfe tragen. Die Verlegung verlief unter strengster Geheimhaltung. Selbst die DDR-Führung wurde vorher nicht informiert. Die Sprengköpfe kamen per Flugzeug über den Militärflugplatz Groß Dölln.
Doch bereits im Herbst 1959 wurden diese Raketen wieder abgezogen. Die Aktion war ein kurzfristiger Testlauf, vermutlich zur Einschüchterung des Westens und zum Funktionstest des Systems.
1962, während der Kuba-Krise, plante Moskau erneut die Stationierung von Mittelstreckenraketen (R-12, SS-4) in der DDR. In Vogelsang und Neuthymen entstanden bereits Abschussrampen. Doch zur endgültigen Stationierung kam es nicht. Die Pläne wurden 1962/63 offenbar aufgegeben.
Sowjetischer Systemname | NATO-Code | Typ | Reichweite (ca.) | Geschätzte Sprengkraft | Stationierungs-zeitraum |
---|---|---|---|---|---|
Flugzeugbombe | – | Fliegerbombe | – | Bis zu 1,47 Megatonnen | Ab 1950 |
R-5M (8K51) | SS-3 Shyster | Mittelstreckenrakete | 1.200 km | 30–80 kT | Ab 1959 |
2K6 Luna (3R9/3R10) | FROG-3 / FROG-5 | Taktische Rakete
| 32 km | 3–20 kT | Ab 1961
|
9K52 Luna-M (9M21) | FROG-7 | Taktische Rakete | 65–68 km | Bis zu 100 kT | Ab 1964 |
9K79 Totschka (OTR-21) | SS-21 Scarab | Taktische Rakete | 70–120 km | 10–200 kT | Ab 1981 |
9K76 Temp-S (9M76) | SS-12 Scaleboard | Mittelstreckenrakete | 850–950 km | 300–500 kT | 1983–1988 |
9K714 Oka (9M714) | SS-23 Spider | Kurzstreckenrakete | 300–470 km | 10–100 kT | 1980–1988 |
Die Bevölkerung wusste davon nichts. Die DDR behauptete bis zu ihrem Ende, auf ihrem Boden seien keine Atomwaffen stationiert. International inszenierte sie sich als Friedensstaat und trat 1969 dem Atomwaffensperrvertrag bei.
In Wahrheit duldete sie über Jahrzehnte die sowjetische Atompräsenz: taktische Gefechtsköpfe, Fliegerbomben, Mittelstreckenraketen. Die SED-Führung wurde offiziell nicht eingeweiht. Doch angesichts der engen Kooperation mit dem sowjetischen Militär liegt nahe, dass sie zumindest Bescheid wusste – und bewusst schwieg.
Nach den Tests der 1950er Jahre begannen die Sowjets ab 1967/68 mit dem Bau fester Sonderwaffenlager. Diese Bunker waren in Sperrgebieten getarnt. Zwei zentrale Lager: „Lychen II“ bei Himmelpfort und Stolzenhain im Süden der DDR.
Beide Anlagen wurden ab 1968 errichtet und streng abgeschirmt. Dort lagerten dutzende bis hunderte Gefechtsköpfe. Die Bewachung übernahmen sowjetische Spezialeinheiten. Selbst hohe Offiziere der NVA wussten oft nicht, was sich dort verbarg.
Die DDR besaß keine eigenen Atomwaffen, hielt aber Trägersysteme bereit – darunter Kurzstreckenraketen und Jagdbomber, die mit sowjetischen Sprengköpfen kompatibel waren. Eine Übergabe an DDR-Offiziere ist nicht belegt. Die Kontrolle blieb sowjetisch.
Das ganze Ausmaß wurde erst nach 1990 sichtbar. Archivdokumente zeigen: 1989 probte die NVA in einer Stabsübung den Einsatz von 76 Atomwaffen. Sie hätten Westdeutschland verwüstet – und eigene Truppen mit.
Am 14. August 1977 verwandelte sich das sowjetische Munitionslager bei Dannenwalde in Brandenburg in ein Inferno. Ein Blitzschlag entzündete die gelagerten 122-mm-BM-21-Raketen, deren Feststoffantriebe unkontrolliert zündeten und Raketen in einem Umkreis von bis zu 15 Kilometern verstreuten.
Insgesamt wurden etwa 1.000 Raketen gestartet, die in 23 Dörfern einschlugen, jedoch aufgrund fehlender Zünder nicht explodierten. Sachschäden entstanden vor allem an Gebäuden.
Die genaue Zahl der Opfer unter den sowjetischen Soldaten bleibt bis heute unklar; Schätzungen variieren zwischen 50 und 300 Toten. Die DDR-Behörden verschwiegen den Vorfall vollständig, und Informationen darüber wurden unterdrückt. MAZ – Märkische Allgemeine Zeitung
Besonders brisant ist, dass sich nur etwa 200 Meter vom Explosionsort entfernt ein Bunker mit sogenannten „Spezialladungen“ befand – ein Euphemismus für taktische Atomwaffen. Diese waren in einem alten Wehrmachtsbunker mit meterdicken Betonwänden gelagert, jedoch nur durch einfache Blechtüren gesichert. Ein Einschlag in diesen Bereich hätte katastrophale Folgen haben können. DIE WELT
Der Vorfall in Dannenwalde verdeutlicht die Risiken, die von großen Munitionslagern ausgehen, insbesondere wenn sie in der Nähe von Atomwaffenlagern liegen. Er bleibt ein mahnendes Beispiel für die potenzielle Verwundbarkeit solcher Einrichtungen.
Wo lagen die Waffen? Heute lassen sich zahlreiche Lager rekonstruieren. Offiziell war die DDR erst ab dem 29. Juni 1991 kernwaffenfrei. An diesem Tag wurden die letzten Sprengköpfe abgezogen.
Die wichtigsten Orte: Lychen II und Stolzenhain als Dauerdepots. Später kamen neue Standorte hinzu – etwa für SS-12- und SS-23-Raketen.
Auch sowjetische Fliegerhorste wie Brand, Lärz, Altenburg oder Finsterwalde hatten Bunker für nukleare Flugbomben. Zu den letzten aktiven Lagerorten zählten Altengrabow, Zeithain und Großenhain.
Standort (Region) | Primärer Waffentyp | Schlüssel-Daten (Errichtung/Räumung) | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Vogelsang, Fürstenberg (Brandenburg) | Mittelstreckenraketen (R-5M / SS-3) | Erste Stationierung ab Ende 1958/1959; Abzug/Austausch 1959 (Theorie) 1 | Erste sowjetische Atomraketen außerhalb der UdSSR; 12 Raketen; 20 Hiroshima-Bomben Sprengkraft. |
Himmelpfort (4001, Fichte, Lychen II) (Brandenburg) | Kernwaffen (für 5. Armee NVA) | Errichtet 1967/68; aufgegeben 1990, geräumt 1990/91 | Baugleich mit Stolzenhain; NVA baute, Sowjets betrieben. |
Stolzenhain (Objekt 4000, Linda) (Brandenburg) | Kernwaffen (für 3. Armee NVA) | Errichtet 1967/68; geräumt 1990/91
| Baugleich mit Himmelpfort. |
Eberswalde, Groß Dölln (Brandenburg) | Atomare Fliegerbomben | 1950er Jahre (Eberswalde); Ende 80er Jahre (Groß Dölln) | Code „Granit I“; Piloten wussten nichts vom Inhalt; bis zu 1.47 Megatonnen Sprengkraft. |
Halle (Heide-Süd) (Sachsen-Anhalt) | Taktische Gefechtsköpfe (Luna, Totschka) | Stationiert ab mindestens 1964; Abzug 1989/90 | „Bewegliche Raketentechnische Basis“; MfS registrierte Sondertransporte. |
Altengrabow, Kapen (Dessau), Wurzen, Altenhain, Torgau, Zeithain (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) | Kernwaffen (für Raketentruppen & Artillerie) | Stationiert ab frühen 1960ern (offiziell 1964); geräumt bis Juni 1991 | Zahlreiche Standorte in Mitteldeutschland. |
Königsbrück, Bischofswerda (Sachsen) | (SS-12 Mittelstreckenraketen) | 1983-1988; Abzug Feb 1988 (INF-Vertrag) | Stationierung. |
Warenshof, Wokuhl (Mecklenburg) | Nuklearsprengköpfe (SS-12 Mittelstreckenraketen) | Temporäre Lager 1983-1988; Abzug Feb 1988 (INF-Vertrag) | Temporäre Stationierung. |
Gesamtzahl DDR | Verschiedene | Ende 1950er bis 1991 | Vermutlich insgesamt 21 verwaltete Lager; ca. 500 Kernwaffen (3-300 Kilotonnen). |
Alle Waffen standen unter sowjetischem Befehl. Die DDR hatte keinen Zugriff, diente ausschließlich als logistische Basis und Einsatzgebiet.
Der Westen blieb nicht untätig. Briten, Amerikaner und Franzosen nutzten ihre Militärverbindungsmissionen zur Spionage. Sie durften sich offiziell im DDR-Gebiet bewegen – mit Ausnahme gesperrter Zonen.
Diese Begrenzung wurde regelmäßig umgangen. Die Offiziere fuhren mit getarnten Geländewagen auf abgelegenen Wegen in Sperrgebiete. Teilweise schraubten sie Warnschilder ab, um später behaupten zu können, das Gelände sei nicht eindeutig als gesperrt erkennbar gewesen.
Die Fahrzeuge trugen diplomatische Nummernschilder. Sie durften weder angehalten noch durchsucht werden. Auch das Richten einer Waffe auf sie war völkerrechtlich verboten, ebenso wie jeder Schuss.
Dennoch kam es zu hochriskanten Vorfällen: 1984 starb der französische Offizier Philippe Mariotti bei Halle, nach einer gezielten Rammung durch einen sowjetischen Lkw. 1985 wurde der US-Major Arthur Nicholson bei Ludwigslust erschossen – während er ein sowjetisches Lager fotografierte.
Diese Vorfälle zeigen, wie gefährlich das Spionagespiel im Kalten Krieg war. Doch die westlichen Missionen forschten weiter. Mit Ferngläsern, Nachtsichtgeräten, Kameras und Camcordern beobachteten sie Transportkolonnen, registrierten Nummern und protokollierten verdächtige Bewegungen – etwa bei besonders gesicherten Konvois oder ungewöhnlichen Wachwechseln.
Alles, was auf nukleare Sondermunition hindeutete, wurde dokumentiert und nach West-Berlin übermittelt – etwa an die US-Zentrale in der Clayallee.
So sehr die sowjetischen Generäle ihre Atomwaffen vor NATO-Spähern verstecken wollten, alleine schafften sie es nicht. Hier kam die ostdeutsche Staatssicherheit (Stasi) ins Spiel.
Stasi-Mitarbeiter überwachten westliche Spione, und die Erkenntnisse gingen direkt an die sowjetischen Freunde. Die Stasi war überall dort aktiv, wo es etwas Verdächtiges zu melden gab – sei es ein gesichtetes Missionsfahrzeug oder ein DDR-Bürger, der viele Fragen stellte.
Sie richtete sogar ein spezielles Referat ein (Referat R, „Überwachung westlicher Militärmissionen“), das nichts anderes tat, als diese Militärverbindungsmissionen auszuspionieren und die Diplomaten, so weit es völkerrechtlich möglich war, zu behindern.
Die Zusammenarbeit war jedoch einseitig: Die sowjetische Seite ließ sich von der Stasi alles berichten, was diese über westliche Militärverbindungsmissionen herausfand – verweigerte im Gegenzug aber weitgehend jede Auskunft. Die sowjetischen Stellen forderten lückenlose Überwachungsergebnisse, gaben aber gegenüber ihren Verbündeten kaum Einblick in eigene militärische Planungen oder Standorte.
Rund um sowjetische Standorte legte man Überwachungszonen an. Verdächtige zivile Fahrzeuge mit westlichen Kennzeichen wurden kontrolliert, Anwohner regelmäßig auf Zuverlässigkeit geprüft.
Kaum ein DDR-Bürger durfte überhaupt in die Nähe der Sonderwaffenlager – oft waren ganze Forstgebiete oder Dörfer für Normalsterbliche tabu. All das geschah in enger Abstimmung mit den sowjetischen Geheimdiensten KGB und GRU, die im Hintergrund agierten.
Die Stasi agierte bei der Abschirmung sowjetischer Nuklearwaffen als Dienerin zweier Herren – doch ihre Loyalität galt im Zweifel stets den sowjetischen Genossen.
Und die DDR-Spitze selbst? Lange Zeit hielt sich das Narrativ, die Politbüro-Elite um Walter Ulbricht oder Erich Honecker habe von alledem nichts gewusst und die Sowjets hätten Atomwaffen quasi hinter ihrem Rücken versteckt. Heute gilt das unter Historikern als unwahrscheinlich.
Wie selbstverständlich hielten die Sowjets ihre nuklearen Angelegenheiten streng geheim und behandelten ihr ostdeutsches „Bruderland“ in strategischen Sicherheitsfragen unmündig. Dennoch war die SED-Führung vermutlich nicht ahnungslos. Spätestens ab den 1970er-Jahren müssen Erich Honecker und sein enger Kreis gewusst haben, dass auf DDR-Gebiet Kernwaffen lagerten.
Auch Stasi-Chef Erich Mielke war vermutlich eingeweiht, als Moskaus Mann im Politbüro. Seine Kenntnisse gingen sehr wahrscheinlich über das äußere Absichern der sowjetischen Sonderwaffenlager hinaus.
Erich Honecker beglückwünscht Erich Mielke zum 30. Jahrestag der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit, 8. Februar 1980, Foto: Bundesarchiv, Bild Y 10-0097-91, CC-BY-SA 3.0
Seine eigenen Mitarbeiter beobachteten in Halle Sondertransporte der Deutschen Reichsbahn. Die „besonderen Anforderungen der sowjetischen Freunde“ erregten die Aufmerksamkeit der dortigen Bezirksverwaltung des MfS. Dies führte eigene Strahlenmessungen durch und kam zu dem Schluss, hier wurden Atomwaffen transportiert.
Die Kenntnis über sowjetische Atomwaffenlager entwickelte sich vermutlich schrittweise. Während in den 1960er-Jahren die Stationierung nuklearer Waffen von sowjetischer Seite maximal verschleiert wurde und die DDR-Führung allenfalls eine Ahnung haben konnte, dass solche „Sonderwaffen“ vorhanden waren, änderte sich dies in den folgenden Jahren.
Der NATO-Doppelbeschluss Ende der 1970er-Jahre und die darauffolgende sowjetische Nachrüstung mit modernen Mittelstreckenraketen wie der SS-20 machten die Präsenz von Atomwaffen in der DDR zu einem unumgänglichen und auch öffentlich diskutierten Thema.
In dieser Phase war die DDR-Führung politisch aktiv in die Abrüstungsdebatten involviert und wusste daher mit Gewissheit, dass ihr Territorium ein zentraler Bestandteil des nuklearen Patts war. Die genauen Details der Lagerung und des operativen Einsatzes blieben zwar weiterhin ein streng gehütetes sowjetisches Geheimnis, aber die grundsätzliche Existenz war der SED-Führung bekannt.
Als 1988 im Zuge des INF-Abrüstungsvertrags die ersten sowjetischen Mittelstreckenraketen (SS-12) abgezogen wurden, atmete Honecker auf – er bezeichnete diese Waffen gegenüber seinen Vertrauten als „Teufelszeug“. Honecker, der die Stationierung dieser Raketen auf DDR-Gebiet als eine Belastung und potenzielle Gefahr für sein Land sah, begrüßte den Abzug als wichtigen Schritt zur Entspannung.
Das Thema Atomwaffen war innerhalb der DDR ein absolutes Tabu – jede Andeutung wurde sofort als „Hass und Hetze“ gegen den Sozialismus abgetan. Erst der Zusammenbruch des Ostblocks lüftete den Schleier. Da zeigte sich, dass die DDR jahrelang auf einem Pulverfass saß, ohne Wissen der Bevölkerung.
Die DDR-Führung mag nicht alle Details gekannt haben, aber sie spielte das Spiel mit – aus ideologischer Loyalität zur Sowjetunion und mangels echter Souveränität.
Nach außen präsentierte sich die DDR über Jahrzehnte als Friedensstaat. Ihre Führung betonte immer wieder, dass auf ihrem Boden keine Atomwaffen stationiert seien – und verwies auf den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag im Jahr 1969. Dieses Bekenntnis war Teil einer außenpolitischen Strategie, angeführt von Erich Honecker und seinem Chefdiplomaten Hermann Axen. Beide setzten sich rhetorisch für globale Abrüstung ein und ließen kaum Zweifel daran, dass sie persönlich gegen Atomwaffen eingestellt waren.
Doch das offizielle Friedensengagement war kompromittiert. Die DDR duldete über Jahrzehnte die Stationierung sowjetischer Kernwaffen auf ihrem Staatsgebiet. Hinweise auf diese Realität wurden unterdrückt, kritische Nachfragen tabuisiert. Die Existenz der Lager unterstand strikter Geheimhaltung, jegliche öffentliche Debatte darüber war ausgeschlossen.
Ein symbolischer Höhepunkt dieser außenpolitischen Doppelstrategie war das „Internationale Treffen für kernwaffenfreie Zonen“ im Juni 1988 in Ost-Berlin. Über 120 Länder – darunter zahlreiche blockfreie und außereuropäische Staaten – folgten der Einladung des Weltfriedensrats. Auf der Bühne forderte die DDR globale Abrüstung und atomare Entspannung.
In der Realität lagerten weiterhin sowjetische Gefechtsköpfe auf ihrem Boden, über die sie keinerlei Kontrolle hatte. Die offizielle Linie der DDR war damit doppeldeutig: ein Friedensstaat in öffentlichen Reden, geheimes Kernwaffenlager in der Praxis. Genau diese Diskrepanz machte jede moralische Glaubwürdigkeit zunichte – und wurde nach 1990 für alle sichtbar.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands begann der schrittweise Rückzug der sowjetischen Streitkräfte – inklusive ihrer Atomwaffen. Bereits im Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 wurde festgelegt, dass das vereinte Deutschland keine Atomwaffen besitzen oder stationieren würde. Damit war auch der vollständige Abzug sowjetischer Kernwaffen zwingend.
Die Umsetzung erfolgte zügig und unter strengster Geheimhaltung. Zwischen 1990 und dem 29. Juni 1991 wurden alle verbliebenen Sprengköpfe aus den Depots der ehemaligen DDR abtransportiert. Der Abzug lief über Eisenbahnverbindungen und Lufttransporte in Richtung Russland. Beobachter sprechen von mehreren Dutzend Spezialtransporten – teilweise nachts, unter massivem Schutz.
Letzter offiziell bestätigter Termin war der 29. Juni 1991: An diesem Tag galt das Gebiet der ehemaligen DDR als vollständig kernwaffenfrei. Die NATO verifizierte dies indirekt durch Aufklärung und Satellitenüberwachung. Deutsche Behörden selbst erhielten keine unmittelbare Kontrolle – der Abzug unterlag ausschließlich sowjetischer Regie.
Mit dem Ende der Stationierung sowjetischer Nuklearwaffen auf deutschem Boden endete auch ein gefährliches Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Die Gefahr war gebannt – vorerst.
Was bedeutet das für heute? Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 wächst das Misstrauen gegenüber der Verlässlichkeit Washingtons. Wie verlässlich ist der US-Atomschirm noch?
Die USA garantieren im Rahmen der NATO den atomaren Schutz Europas. In Büchel lagern US-Atombomben, einsatzbereit im Ernstfall. Doch US-Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte 2025, dass Asien nun im Zentrum der amerikanischen Militärstrategie stehe. Europa? Kein Schwerpunkt mehr.
Frankreichs Präsident Macron brachte daraufhin einen europäischen Nuklearschirm ins Spiel – unter französischer Führung. Ein Angebot mit Schönheitsfehler: Im Ernstfall reicht der Schutz wohl nur bis zum Rhein. Die Grande Nation wird kaum einen Atomkrieg beginnen, um Berlin oder Leipzig zu retten. So groß ist die deutsch-französische Liebe dann vermutlich doch nicht.
Auch Großbritannien hat eigene Atomwaffen, aber seit dem Brexit ist die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der EU erschwert.
Wer garantiert, dass künftige Regierungen – welcher Couleur auch immer – im Ernstfall tatsächlich handeln? Reform UK, Rassemblement National, Labour oder Islamisten – politische Mehrheiten ändern sich. Demografien und die daraus folgenden Loyalitäten auch. Was heute selbstverständlich ist, kann morgen infrage stehen.
Die Bundeswehr? Nicht einsatzbereit. Es fehlt an fast allem: Ausrüstung, Munition, Personal – und vor allem: kampffähigen Infanteristen. Selbst die Wohnanschriften der Reservisten sind der Bundeswehr unbekannt.
Der erste Reflex deutscher Politiker lautet stets: „Eine europäische Lösung muss her!“ Doch diese Formel ersetzt keine Verteidigung. In jeder Krise zeigte sich: Am Ende schützt sich jeder selbst – und Deutschland steht allein.
Die Debatte läuft: Ein eigenes maritimes Abschreckungssystem mit strategischen U-Booten? Kooperation mit Frankreich? Massive konventionelle Aufrüstung?
Deutschland beherbergte einst sowjetische Sprengköpfe – ohne Kenntnis und Zugriff. Heute lagern US-Waffen auf deutschem Boden – unter amerikanischem Kommando.
Was kommt danach? Diese Frage stellt sich. Und sie duldet keinen Aufschub.
In diesem Artikel
Alle tun überrascht, aber das war seit Jahrzehnten bekannt. Die DDR hat gelogen, die Sowjets haben gemacht, was sie wollten – und niemand im Politbüro hat ernsthaft widersprochen. Und was hat sich geändert? Jetzt liegen US-Atomwaffen bei uns. Zugriff? Null. Kontrolle? Keine. Und wenn Washington morgen entscheidet, dass Taiwan wichtiger ist als Berlin – dann war’s das.